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Schnelle Verfügbarkeit von Informationen ermöglicht effizientes und zielgerichtetes Handeln der Regierung in Krisensituationen

Jan Kinne

Mit der Ölkrise, dem Platzen der Dot-Com-Blase, der Finanz- und Bankenkrise und der COVID-19-Pandemie gab es in den vergangenen fünfzig Jahren mehrere wirtschaftliche Schocks, die oft schwerwiegende Folgen für die Unternehmenslandschaft hatten. Regierungen sind oft nur mit erheblicher Zeitverzögerung in der Lage, gezielte Unterstützung zu leisten und angemessen auf solche unerwarteten Ereignisse zu reagieren, da zu Beginn einer Krise meist keine geeigneten Daten zur Verfügung stehen. Die KI-basierte Analyse von Unternehmenswebseiten kann hier Abhilfe schaffen, indem sie die traditionellen Erhebungsmethoden ergänzt und rechtzeitig verlässliche Prognosen liefert. Dies zeigen Studien, die das ZEW Mannheim in Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität Gießen während der Coronavirus-Krise durchgeführt hat.

16. September 2021

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Websites deutscher Unternehmen

Mit der Ölkrise, dem Platzen der Dot-Com-Blase, der Finanz- und Bankenkrise und der COVID-19-Pandemie gab es in den vergangenen fünfzig Jahren mehrere wirtschaftliche Schocks, die oft schwerwiegende Folgen für die Unternehmenslandschaft hatten. Regierungen sind oft nur mit erheblicher Zeitverzögerung in der Lage, gezielte Unterstützung zu leisten und angemessen auf solche unerwarteten Ereignisse zu reagieren, da zu Beginn einer Krise meist keine geeigneten Daten zur Verfügung stehen. Die KI-basierte Analyse von Unternehmenswebsites kann hier Abhilfe schaffen, indem sie die traditionellen Erhebungsmethoden ergänzt und rechtzeitig verlässliche Prognosen liefert. Dies zeigen Studien, die das ZEW Mannheim in Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität Gießen während der Coronavirus-Krise durchgeführt hat.

Um schnelle Hilfe zu leisten, wie sie zu Beginn der andauernden Pandemie notwendig war, sah die Regierung keine andere Möglichkeit, als die viel zitierte "Bazooka" einzusetzen, da keine Daten vorlagen, die eine differenziertere politische Reaktion ermöglicht hätten. Obwohl die Hilfe auf diese Weise geleistet wird, ist sie alles andere als zielgerichtet, was die Verteilung der eingesetzten finanziellen Mittel betrifft. "Um politische Entscheidungsträger möglichst frühzeitig mit relevanten Informationen zu versorgen und staatliche Hilfen effektiv zu steuern, erweist sich die webbasierte Analyse als äußerst hilfreiches Instrument", sagt Dr. Georg Licht, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs "Innovationsökonomik und Industriedynamik".

In der Zeit unmittelbar nach einem unerwarteten wirtschaftlichen Schock besteht in der Regel ein großer Informationsbedarf, der mit einem erheblichen Mangel an relevanten Informationen einhergeht. Ausgehend von dieser unzureichenden Datenverfügbarkeit hat ein Forscherteam des ZEW gemeinsam mit dem Start-up-Unternehmen ISTARI.AI eine auf künstlicher Intelligenz basierende Methodik zur automatisierten Bewertung von Unternehmenswebseiten entwickelt, die inzwischen auch von Institutionen in anderen europäischen Ländern eingesetzt wird. Mit Hilfe des von ISTARI.AI entwickelten KI-Algorithmus wurden während der COVID-19-Krise wöchentlich mehr als eine Million Unternehmenswebseiten deutscher Firmen nach Hinweisen auf die Coronavirus-Pandemie gescannt und ausgewertet. Der Algorithmus kann zuverlässig unterscheiden, ob Unternehmen im Zusammenhang mit der Pandemie über Probleme (Schließungen, Absagen von Veranstaltungen etc.) berichten oder Anpassungsmaßnahmen (angepasste Öffnungszeiten, Lieferservice etc.) ankündigen. Auf diese Weise lässt sich frühzeitig feststellen, welche Unternehmen und Wirtschaftszweige hauptsächlich betroffen sind. Die von März bis Mai 2020 durchgeführte Analyse ermöglichte es, einen ersten Überblick über die wirtschaftlichen Auswirkungen des unerwarteten wirtschaftlichen Schocks zu gewinnen. Der Vorteil einer dynamischen Datenquelle wie der Website-Analyse ist, dass die Auswirkungen eines wirtschaftlichen Schocks nahezu in Echtzeit ermittelt werden können.

Quelle: Krüger et al. 2020.

Mit traditionellen Formen der Datenerhebung wie Umfragen ist es praktisch unmöglich, die Auswirkungen in Echtzeit zu ermitteln, da ihre Vorbereitung, Durchführung und Auswertung sehr zeitaufwendig ist. Andere Datenquellen wie Bilanz- oder Bonitätsdaten sind ebenfalls wichtige Indikatoren. Aber auch sie haben den Nachteil, dass sie die Auswirkungen einer Krise erst dann erkennen lassen, wenn der wirtschaftliche Schock bereits seine volle Wirkung entfaltet hat und in der Zahlungsmoral und den Unternehmensbilanzen sichtbar wird.

ZEW-Forscher empfehlen Maßnahmenpaket

Gerade in der Coronavirus-Krise, in der die Politik schnell reagieren musste, aber gleichzeitig ein großes Informationsdefizit über die wirtschaftlichen Auswirkungen hatte, sind webbasierte Auswertungen ein wertvolles Instrument, um gezielte und frühzeitige Entlastungsmaßnahmen für Unternehmen zu konzipieren. Traditionelle Erhebungsformen und Datenquellen haben dagegen den Vorteil, dass sie das Ausmaß eines Schocks differenzierter erfassen können und auch eine Analyse der tatsächlichen Auswirkungen erlauben - wenn auch mit erheblicher zeitlicher Verzögerung.

Um die zeitnahe Verfügbarkeit von Informationen im Falle von Wirtschaftskrisen zu verbessern, staatliche Maßnahmen möglichst zielgerichtet und zeitnah einleiten zu können und diese im Verlauf der Krise kontinuierlich zu optimieren, empfehlen die ZEW-Forscher ein Maßnahmenbündel, das verschiedene Datenquellen kombiniert, um die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Krise vollständig zu erfassen. Zunächst sollte eine zeitnahe Auswertung einer großen Anzahl von Unternehmenswebseiten erfolgen, um das Informationsangebot schnell zu verbessern. Später folgt die Optimierung und Ergänzung dieser Informationen durch Umfragen bei ausgewählten Unternehmen, wobei die Erkenntnisse aus der Website-Analyse in das Design der Umfragen einfließen sollten.

Bild: Digitaler Layer für die Regionen Heilbronn (oben) und Ostwestfalen-Lippe (unten)

"Eine retrospektive Betrachtung der Bonitätsdaten der beobachteten Unternehmen legt nahe, dass dieser Ansatz verlässliche Ergebnisse liefert, die einen ersten Hinweis auf spätere Ratingbewegungen geben", erklärt Julian Dörr vom ZEW-Projektteam, das die Studie durchgeführt hat. Damit zeigen die ZEW-Forscher, dass die Ergebnisse der Webanalyse als Frühindikatoren für Veränderungen in der Bonität der Unternehmen im späteren Verlauf der Krise genutzt werden können. Informationen aus automatisch ausgewerteten Web-Massendaten sind somit von hohem Wert für politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger. Gerade in dynamischen Krisensituationen kann die KI-basierte Webanalyse traditionelle Erhebungsmethoden ergänzen und aktuelle sowie zuverlässige Frühprognosen liefern.

Visualisierungen basierend auf klassifizierten COVID-19-Webreferenzen. Wenn ein Unternehmen mindestens eine COVID-19-Referenz gemeldet hat, die in einer der Webabfragen in die entsprechende Kontextklasse eingestuft wurde, erhält das Unternehmen eine 1. Andernfalls erhält das Unternehmen eine 0 für die entsprechende Klasse (binarisierte Version der Webindikatoren). Rote Linien stellen sektorspezifische Auswirkungswerte dar. Grau schraffierte Bereiche stellen (un)gewichtete Durchschnittswerte der Auswirkungen über alle Sektoren hinweg dar.

In Zukunft wollen sich die ZEW-Forscher auf die Interpretierbarkeit ihrer KI-Modelle konzentrieren ("explainable AI"). "In den letzten Jahren hat sich das Bewusstsein durchgesetzt, dass Systeme der Künstlichen Intelligenz in bestimmten Kontexten keine Blackbox sein sollten. Vielmehr sollten ihre Ergebnisse interpretierbar, fair, transparent und nachvollziehbar sein. Gerade vor dem Hintergrund, dass politische Entscheidungen zunehmend auf den Ergebnissen von KI-Modellen beruhen werden, müssen diese Ergebnisse alle diese Kriterien erfüllen", so Dr. Jan Kinne, ZEW-Ökonom und Mitbegründer von ISTARI.AI. So ist es beispielsweise wichtig zu wissen, welche Wörter und Wortkombinationen ein besonders hohes Gewicht in den Vorhersagen haben. Gleichzeitig hat eine Blackbox aber auch Vorteile, da sie schwerer zu manipulieren ist als ein offenes, völlig transparentes System.

Dörr et al. 2021: https://ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp21062.pdf 

Dieser Blog wurde zuerst auf https://www.zew.de/ veröffentlicht. 

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